Der Ort: Bahnhof Großderschau

Der Bahnhof Großderschau ist eine typische Unterwegsstation der Brandenburgischen Städtebahn gewesen. Die Bahngesellschaft hatte den Streckenabschnitt zwischen Rathenow und Neustadt (Dosse) am 14. und 15. April 1904 offiziell in Betrieb genommen. Ursprünglich „Gross Derschau“ genannt, hieß die Station ab 1938 Friedrichsdorf (Kreis Ruppin) und ab 1945 Großderschau, heißt es in der Chronik zur Städtebahn von Walter Menzel.

Am 30. November 2003 verkehrte hier der letzte planmäßige Personenzug; am 30. Juni 2006 wurde die Strecke offiziell stillgelegt. Einen guten Eindruck vom letzten Betriebszustand vermittelt der von Matthias Fischer aufgezeichnete Film „Die letzte Fahrt von Rathenow nach Neustadt“, mit einem Schienenbus des Herstellers Uerdinger Waggonfabrik (bei der Bundesbahn die Baureihe VT 798) siehe:

https://www.youtube.com/watch?v=dnFq6hHiXQQ

Großderschau ist ab Film-Minute 11:11 zu sehen: erst die Überfahrt des Schienenbusses der Prignitzer Eisenbahn (PEG) über den Rhin, dann durch den Süden des Orts (parallel zur Bundesstraße 102) und die Einfahrt in den Bahnhof mit dem Bahnübergang Lindenstraße.

Großderschau war längst nur noch ein Haltepunkt mit einem Durchfahrtgleis. Dabei erstreckten sich die Bahnhofgleise einst bis weit über den Bahnübergang Kleinderschauer Straße hinaus durch den Wald bis über den Bahnübergang Moorberge hinweg. Der Bahnhof hatte ursprünglich ein Empfangsgebäude und ein 297 Meter langes Ladegleis, das mit zwei Weichen an das Streckengleis angeschlossen war. 1938 wurde ein neuer Güterschuppen errichtet, von dem ein Rest als Warteraum erhalten blieb.

1952/53 wurde die gesamte Strecke – vor allem aus strategischen Gründen – für den Güterverkehr ausgebaut. Denn sie verband die bedeutenden Garnisonen der sowjetischen Roten Armee in Rathenow und Neuruppin, außerdem war sie eine wichtige Verbindung zwischen den Hauptbahnen von Berlin nach Wittenberge und Stendal. Damals entstand mit dem „Korea-Gleis“ (vom Volksmund anlässlich des Korea-Krieges so genannt) auch eine direkter Abschnitt zwischen der Städtebahn und der Ruppiner Kreisbahn am Bahnhof Neustadt vorbei. Damit mussten Güterzüge in Neustadt nicht mehr umgesetzt werden.

Großderschau wurde zu einem großzügigen Kreuzungsbahnhof umgebaut: Statt des Ladegleises auf der Ostseite des Hauptgleises entstand nun auf der Westseite ein 900 Meter langes Ausweichgleis mit ferngelenkten Weichen und Signalen. Und der Betrieb wurde von den neu errichteten Stellwerken B 1 an der Lindenstraße im Süden und W 2 an der Straße Moorberge im Norden aus gesteuert. Der Bahnsteig selbst war nur 120 Meter lang. Doch der Niedergang begann schon in den 1980er Jahren. 1985 wurden das Empfangsgebäude und das Stellwerk W2 abgerissen. Seitdem fand der Fahrkartenverkauf im Fahrdienstleiter-Stellwerk B 1 statt. Später wurde dieses ebenfalls abgebrochen und das Ausweichgleis abgebaut.

Auch wenn Gleisanlagen und Gebäude weitgehend fehlen – die Struktur der Bahn ist in der Landschaft unverändert zu erkennen. So gibt es südlich von Großderschau die Widerlager der Dossebrücke sowie drei Durchlässe über den Gräben: einfache, mit Ziegelsteinen gemauerte Bogenbrücken. Und an die Station erinnert auch die von Bäumen gesäumte Bahnhofs- und Ladestraße mit ihrem überaus reizvollen Pflaster aus gelben Ziegelsteinen.

An der Dosse werden die beiden Widerlager der demontierten Eisenbahnbrücke von zwei Durchlässen gesäumt.
Foto: Sven Bardua



Streckenweise lassen sich der Bahndamm und die Durchlässe für die Gräben in der Landschaft gut erkennen.
Foto: Sven Bardua



Am ehemaligen Bahnübergang Moorberge liegt noch das Hauptgleis; hinter dem Pflaster daneben lag einst das Ausweichgleis. Foto: Sven Bardua



Die von alten Bäumen gesäumte Bahnhofs- und Ladestraße in Großderschau wurde einst mit gelben Ziegelsteinen gepflastert. Foto: Sven Bardua

2 Gedanken zu „Der Ort: Bahnhof Großderschau“

  1. Die gelben Ziegel, mit denen die Bahnhofstraße in Großderschau gepflastert ist, stammen von der Märkischen Ziegelei und Thonwaarenfabrik AG in Premnitz. Sie existierte von 1887 bis 1912 und hat bis zu 20 Millionen Ziegel pro Jahr hergestellt. Darauf wies Werner Coch aus Premnitz hin, der unter anderem die Broschüre „Zur Geschichte der Ziegeleien Premnitz, Döberitz, Mögelin“ verfasst hat. Sie ist beim Tourismusverein Westhavelland in Rathenow, Freier Hof 5, erhältlich.

    Antworten
  2. Vielen Dank für den detaillierten Bericht!
    Und der Hinweis auf den Film ist sehr gut. Man bekommt eine Vorstellung, wie der Haltepunkt zum Schluss organisiert war und sieht sehr schön den frisch geweißten Warteraum, der seine Ränder nach außen krempelt…

    Antworten

Schreibe einen Kommentar zu Anke Meixner Antworten abbrechen