Die Produktion von Wolltuch ist in Pritzwalk seit mehr als 70 Jahren Geschichte – doch nun ziehen sukzessive wieder Textilmaschinen in die Museumsfabrik dort ein. Besonders bereichert wird die Ausstellung um eine im Juni 2021 in Betrieb genommene Multimedia-Präsentation.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Tuchfabrik Gebrüder Draeger in Pritzwalk demontiert und die Besitzer-Familie Quandt enteignet. Schon während des Krieges hatte der Betrieb unter dem Rohstoffmangel extrem gelitten. Anschließend wurde das Gebäude als Lager genutzt, ehe 1952 die neu geschaffene Verwaltung des Kreises Prignitz einzog. Sie war dort bis 1993 ansässig. Andere Teile des Werkes dienten als Warenlager und Ausbildungsstätte für das örtliche Zahnradwerk.
Seit 1993 nutzten der Landkreis und die Gemeinnützige Beschäftigungsgesellschaft (GBG) nur noch einen kleinen Teil des riesigen Komplexes. Der Rest stand seit Jahren leer – eine Industrieruine mit beträchtlichen Ausmaßen unmittelbar nördlich der Altstadt. 2011 beschloss die Stadt, die Immobilie zu kaufen und schrittweise zu sanieren. So zogen zunächst im südlichen Seitenflügel neue Werkstätten und Unterrichtsräume für die berufliche Ausbildung der GBG ein, außerdem ein Metallbauunternehmen. Im östlichen Abschnitt sitzen ein Teil des Oberstufenzentrums und die Volkshochschule, im westlichen Teil mit dem ehemaligen Verwaltungsgebäude entstanden Wohnungen. Und mittendrin bekam das bis dahin nebenan in der alten Brauerei Schraube ansässige kulturhistorische Museum 2018 zusätzlichen Platz. Es ist mit einer Brücke über den Turbinengraben hinweg mit dem Altbau des Museums verbunden. Zum neuen Teil gehören auch ein Café auf dem Innenhof, eine Aussichtsplattform für den Rundum-Blick über die Stadt im Treppenturm sowie Veranstaltungsräume.
Als Museumsfabrik thematisiert die Einrichtung das Leben und Arbeiten in Pritzwalk während der Industrialisierung. So gibt es neben der Museumsdruckerei eine funktionierende Handweberei. Atelierfotografie, Geselligkeit und Freizeit sowie die industrialisierte Landwirtschaft sind weitere Themen. Im Vordergrund aber stehen die beiden einst größten Industriebetriebe der Stadt: die Brauerei Schraube sowie die Tuchfabrik Gebrüder Draeger. Sie sind auch die zentralen Inhalte der Multimedia-Präsentation: In sechs Geschichten werden mit Fotos, Filmen und Audiobeiträgen verschiedene Aspekte der örtlichen Industriegeschichte beleuchtet. Im Mittelpunkt steht dabei ein detailliertes Modell der beiden Fabriken sowie deren Wachstum in einer unterschiedlichen Umgebung.
Denn die beiden Betriebe sowie die Gasanstalt der Stadt wurden in kurzer Zeit im Norden der Altstadt am Meyenburger Tor auf einer Insel des Flusses Dömnitz angesiedelt und sind dann gewachsen. 1858 hatten die Gebrüder Draeger hier mit dem Neubau für ihr 1839 gegründetes Unternehmen begonnen, nahmen auch die erste Dampfmaschine der Stadt mit einer Leistung von 4 PS in Betrieb. Der älteste Bau des heutigen Komplexes ist das 1866 eingeweihte Wolllager an der Uferpromenade, das nun von der GBG genutzt wird. In drei Phasen – von 1908 bis 1914, 1924/25 sowie 1936 bis 1938 – wurde die Fabrik um markante Bauten ergänzt. Zuletzt wurde das Verwaltungsgebäude errichtet und damit eine neue Schauseite für die Fabrik geschaffen. Dafür war vorher die Fabrikantenvilla abgerissen worden.
Die Gebrüder Draeger hatten sich schon früh auf die Herstellung von Uniformtuchen spezialisiert; in Deutschland produzierten etwa ein Drittel der Tuchfabriken allein für Militär, Behörden und andere Uniformträger. Bei der Bildung des Kartells der Uniformtuchproduzenten vor dem Ersten Weltkrieg konnte Inhaber Günther Quandt seine Tuchfabriken in Pritzwalk und Wittstock als zweitgrößten Betrieb der Branche in Deutschland präsentieren. Sein Vater Emil Quandt hatte als 16 Jahre alter Gehilfe in der Firma begonnen und 1883 von dem Bruder seiner Frau die Tuchfabrik übernommen.
Für die Präsentation der Uniform-Herstellung wurden in der Museumsfabrik mehrere Wolltuchmaschinen aufgestellt, aus Platzgründen allerdings nur die wichtigsten Maschinen, die zudem ein Stelldichein des Chemnitzer Textilmaschinenbaus sind: Gezeigt werden ein Krempel (1912 von Oscar Schimmel & Co. gebaut), ein Selfaktor (etwa 1920 von der Sächsischen Maschinenfabrik zu Chemnitz AG vormals Richard Hartmann gebaut), ein Webstuhl (um 1928 von der Sächsischen Webstuhlfabrik AG, vormals Schönherr & Seidler, hergestellt) sowie eine Spulmaschine und eine Schermaschine. Der immer noch eindrucksvolle Selfaktor, eine riesige Spinnmaschine, wurde für die Museumsfabrik zwar gekürzt, sein Vorgänger nahm hier allerdings auch fast einen ganzen Fabriksaal ein.