Anfang 2021 sind die letzten Ruinen des Plakotex-Werkes in Rhinow abgerissen worden. Die Bastfaser Gesellschaft mbH (Wuppertal) hatte es 1938 als Hanfwerk mit knapp 100 Beschäftigten in Betrieb genommen. Entscheidend für die Ansiedlung waren wohl der Anschluss an die Städtebahn und preiswerte Arbeitskräfte.
Für das Ländchen Rhinow im Nordwesten des Havellandes war das 1937 gegründete und im Juni 1938 mit zwei Schichten in Betrieb genommene „Hanfaufbereitungswerk“ eine wichtige Verbesserung der Wirtschaftsstruktur: „Es bedeutet mit seiner fast 100 Mann betragenden Gefolgschaft für Rhinow einen neuen Wert, der sich in vieler Beziehung günstig für die Stadt bemerkbar macht“, schrieb Paul Matthias in einem leicht pathetischen Artikel „Das Hanfwerk in Rhinow“ im „Kalender für Rathenow – Westhavelland 1939“. Gebaut wurde es auf dem Gelände zwischen der Landstraße nach Prietzen (Werner-Seelenbinder-Straße 17) und der Brandenburgischen Städtebahn. In der strukturschwachen Region war es ein wichtiger Arbeitgeber.
Die Anfuhr des in der Nähe angebauten Hanfes besorgten Gespanne. Der größte Teil aber kam aus den Anbaugebieten in den Kreisen Ost- und Westprignitz, Templin, Angermünde und Prenzlau per Bahn. Besonders stark wurde der Hanfanbau angesichts der günstigen Anbaubedingungen allerdings im Havelland betrieben. Das im Werk hergestellte (Grün-) Werg wurde schließlich per Bahn zum Mutterwerk in Wuppertal-Barmen, dem Hauptsitz der Bastfaser GmbH (1940 nach Fehrbellin verlegt), transportiert. Damit sich der relativ schwere Rohstoff auch in der Fabrik gut bewegen ließ, gab es im Werk eine 1,7 Kilometer lange Gleisanlage, die mit der Fabrik auf bis zu 2,5 Kilometer ausgebaut werden sollte.
Das Äußere der Fabrik wurde durch eine weithin sichtbare Werkhalle geprägt, in der fast alle Bearbeitungsvorgänge an dem Hanf vor sich gingen. Daneben gab es das Maschinenhaus, das mit Dampfkessel und -maschine Kraft und Wärme zum Trocknen lieferte. Daran angeschlossen waren Wasch- und Duschräume sowie ein Speisesaal, zur Straße hin gab es einen extra Bau für die Verwaltung. Den weitaus größten Teil des Geländes beanspruchten die Rohstofflager. Etwa zur Hälfte wurde der Hanf in Schobern aufbewahrt, der übrige Teil lag in riesigen Scheunen. Eine solche Scheune von 100 Metern Länge fasste allein etwa 250 Waggonladungen Hanf. Dank der großen Lagerkapazität konnte das Werk die Ernte einer Saison, die sich vom September bis in das Frühjahr hinein erstreckte, aufnehmen.
Der Hanf wurde in großen Wasserbecken geröstet und in der Werkhalle in zwei riesigen Aggregaten getrocknet. Sodann lief der Hanf teilweise durch eine Dreschmaschine zur Gewinnung der Hanfkörner als Saatgut oder auch als Vogelfutter. Die größte Menge gelangte aber aus dem Trockner in sechs Knickmaschinen. Darin wurde der Hanf gebrochen, um die Faser von dem holzigen Teil zu trennen. Im nächsten Arbeitsgang wurde die Hanffaser von den Schäben befreit. Das Werg wurde in einer weiteren Maschine zu einem armstarken Band geformt, dessen lange Schlangen in Stücke geschnitten, zu großen Ballen gepresst und in Waggons verladen wurden. Bei der Bastfaser GmbH in Wuppertal wurde das Werg chemisch aufgeschlossen, vom Pflanzenleim befreit und in feinste Fasern zerlegt. Damit wurden nicht nur Bindfäden aller Stärken, Taue und Seile hergestellt, sondern vor allem auch Bekleidungsstoffe: vom gröbsten Stoff bis zum feinsten (Hanf-) Leinen.
Sieben solcher Hanfaufbereitungswerke wie in Rhinow soll es damals im Deutschen Reich gegeben haben, schrieb Paul Matthias. Dazu gehörten die vier großen Betriebe in Konstadt (Oberschlesien), in Schneidemühl (Grenzmark), im bayerischen Schrobenhausen und in Fehrbellin, außerdem meinte er vermutlich die Werke in Bergerdamm bei Nauen und im badischen Bruchsal.
Angesichts des Arbeitskräftemangels während des Zweiten Weltkrieges betrieb die Gestapo in Rhinow zwischen dem Frühjahr und dem Sommer 1942 ein Arbeitserziehungslager für bis zu 350 weibliche Häftlinge. Wie aus den Lohnlisten hervorgeht, waren dies polnische Kriegsgefangene, niederländische und sowjetische Zwangsarbeiterinnen. Das Lager wurde in die Hanf- und Flachsröste nach Fehrbellin verlegt. Anschließend arbeiteten in Rhinow bis zum Kriegsende Frauen des „Zuchthauskommandos Rhinow/Mark bei der Bastfaser GmbH“ aus dem Frauen-Zuchthaus Cottbus und dem Frauenjugendgefängnis Berlin-Lichtenberg. Forschungsergebnisse dazu gibt es hier:
http://www.billard-rhinow.de/unterseiten/arbeitslager.html
Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte der Betrieb in Rhinow zum VEB Märkische Bastfaserwerke in Fehrbellin. Mit der Produktionsumstellung hin zu Kunststoffen änderte der Betrieb 1974 seinen Namen in VEB Plakotex (Abkürzung für: Plastbeschichtung und Konfektion technischer Textilien). Was in dem Betriebsteil in Rhinow nach dem Krieg genau passierte, ist noch unklar. Die letzten Reste des Werkes wurden jedenfalls im Winter und Frühjahr 2021 abgerissen.
Im Vorfeld zu unserer Sommerakademie, im frühen Stadium der Planung, auf der Suche nach einem geeigneten Ort, sind Ute Fürstenberg und ich noch im Herbst 2020 zwischen den Ruinen herumgelaufen.
Ja, selbst die Reste der Gebäude waren noch beeindruckend. Schade, dass wir nicht fotografiert haben.
Danke für diesen erhellenden Artikel – es ist immens wichtig, um die Vergangenheit eines Ortes zu wissen, um ihn in seiner heutigen Gestalt zu verstehen.