Auf Spurensuche in Wittenberge: Viskose und Elwiphan aus Kiefernholz

Die großen Fabrikanlagen des VEB Zellstoff- und Zellwollewerke in Wittenberge an der Elbe sind weitgehend abgerissen – dennoch lässt sich die einstige Produktion nachvollziehen: Im Industriegebiet Süd in Wittenberge, zwischen alter Verwaltung und denkmalgeschützter Kantine, blieben historische Aggregate erhalten.

Die Arbeit in den Zellwollewerken Wittenberge war eine mit viel Energie und großen Rohstoffmengen umgesetzte Massenproduktion. Im großen Stil wurden Kiefernholzschnitzel angeliefert und in Lauge gekocht. Der dabei entstandene Zellstoff wurde mit Schwefelkohlenstoff, den das Werk von 1942 bis 1978 sogar selbst herstellte, und Natronlauge versetzt. So entstand Viskose, die entweder zu Textilfasern versponnen oder zu Zellglas vergossen wurde. Wesentliche Aggregate – Zellstoffkocher, Spinnmaschine und Gießmaschine – stehen mit Erläuterungstafeln zwischen einem Verwaltungsgebäude aus DDR-Zeiten und der 1982 gebauten Werkskantine. Außerdem ist eine Dampfturbine des Fabrik-Kraftwerkes zu sehen. Damit wurde ein Generator für die Stromerzeugung angetrieben, während ihr Abdampf in der Produktion eingesetzt wurde.

Die transparente Verpackungsfolie Zellglas hatte der Schweizer Jacques E. Brandenberger schon 1908 erfunden und diesen Pionierkunststoff als Cellophan bezeichnet. In Wittenberge wurde sie „Elwiphan“ getauft; die Marke nimmt auf die nahe Elbe, die Stadt Wittenberge und die alte Warenbezeichnung Bezug. Von 1957 bis Mai 1990 stellte das Werk Elwiphan her. Die Folie lässt Wasser(-dampf) durch und ist deshalb zum Einpacken von Lebensmitteln besonders geeignet. Außerdem ist sie im Gegensatz zu Plastik biologisch abbaubar. Allerdings ist ihre Herstellung relativ aufwendig und damit teuer.

Wegen der Autarkiebestrebungen und des Rohstoffmangels im „Dritten Reich“ hatten die Nationalsozialisten auch Kunstfasern entwickelt und produziert. Vor diesem Hintergrund nahm die Kurmärkische Zellwolle und Zellulose AG, Teil der von mehreren Werken gegründeten Phrix-Verkaufsgemeinschaft, in Wittenberge auf einem in der Elbniederung neu aufgeschütteten Industriegebiet zwischen Stepenitz und Karthane im August 1939 die Produktion von Viskosefasern (Zellwolle) auf. Sie diente als Surrogat in Wolltextilien. Seit Mai 1940 wurde auch Zellstoff in Wittenberge hergestellt, der sich aber nicht für die Faserproduktion eignete. Er wurde allerdings in der Papier- und Chemieindustrie gebraucht. Als Ausgangsrohstoff verwendete die Fabrik damals Stroh statt Holz.

Seit 1948 firmierte das Werk als VEB Zellstoff- und Zellwollewerke Wittenberge und gehörte später zum Chemiefaserkombinat Schwarza. Seit 1963 produzierte es unter dem Warenzeichen „Wilana“ auch ungelappte Zellwolle (runder Faserquerschnitt) speziell zum Weben von Teppichen, berichtete der Heimatforscher Heinz-Dieter Lohrer. Zu DDR-Zeiten wurde der dort hergestellte Zellstoff im Werk zur Zellwolle weiterverarbeitet – bis zum November 1972. Damals wurde das Verfahren umgestellt und der Zellstoff seitdem an die Papierindustrie verkauft, umgekehrt qualitativ besser geeigneter Zellstoff für die Viskosefaser und Zellglas-Herstellung eingekauft. 1988 arbeitete das Werk mit etwa 2.000 Beschäftigten. Im August 1990 endete die Zellstoffproduktion, im März 1991 die Viskosefasererzeugung. Ab 1993 wurden große Teile des Werkes abgerissen. Doch einige Bürohäuser und kleinere Gebäude sowohl aus DDR-Zeiten wie auch aus den 1930er Jahren blieben erhalten. Als einziger Bau wurde bislang die Kantine, das 1982 errichtete „Betriebsrestaurant“, unter Denkmalschutz gestellt.

Die Kurmärkische Zellwolle und Zellulose AG war Teil der Phrix-Verkaufsgemeinschaft, deren Emblem auf der idealisierten Werksansicht von 1938 im Hintergrund zu sehen ist. Grafik: Schneider, Phrix-Gesellschaft mbH / Stadtmuseum Wittenberge
Die Kurmärkische Zellwolle und Zellulose AG war Teil der Phrix-Verkaufsgemeinschaft, deren Emblem auf der idealisierten Werksansicht von 1938 im Hintergrund zu sehen ist. Grafik: Schneider, Phrix-Gesellschaft mbH / Stadtmuseum Wittenberge
Die „Haushaltsfolie Elwiphan aus Wittenberge“ war laut Werbeaufschrift „universeller Einschlag für alle Waren des täglichen Bedarfs“ – „die unentbehrliche Verpackung in ihrem Haushalt“. Die Folie war ein Produkt des VEB Zellstoff- und Zellwollewerke Wittenberge, ein Betrieb des CFK Schwarza. Die Packung mit einem Inhalt von etwa 4,5 Quadratmeter kostete 3,20 Mark. Foto: Sven Bardua
Die „Haushaltsfolie Elwiphan aus Wittenberge“ war laut Werbeaufschrift „universeller Einschlag für alle Waren des täglichen Bedarfs“ – „die unentbehrliche Verpackung in ihrem Haushalt“. Die Folie war ein Produkt des VEB Zellstoff- und Zellwollewerke Wittenberge, ein Betrieb des CFK Schwarza. Die Packung mit einem Inhalt von etwa 4,5 Quadratmeter kostete 3,20 Mark. Foto: Sven Bardua
1993 brach die Arbeitsförderungsgesellschaft Zellwolle große Teile des Werkes weitgehend ab. Foto: Christian Bedeschinski, Berlin
1993 brach die Arbeitsförderungsgesellschaft Zellwolle große Teile des Werkes weitgehend ab. Foto: Christian Bedeschinski, Berlin
In der Straße An der Stepenitz, zwischen dem ehemaligen Verwaltungsgebäude und der Kantine (rechts; im Hintergrund die Feuerwache) des Werkes, wurden alte Aggregate der Zellstoff- und Zellwollewerke Wittenberge aufgestellt. Foto: Sven Bardua
In der Straße An der Stepenitz, zwischen dem ehemaligen Verwaltungsgebäude und der Kantine (rechts; im Hintergrund die Feuerwache) des Werkes, wurden alte Aggregate der Zellstoff- und Zellwollewerke Wittenberge aufgestellt. Foto: Sven Bardua

7 Gedanken zu „Auf Spurensuche in Wittenberge: Viskose und Elwiphan aus Kiefernholz“

    • Kennste unter Zellophan, bunt bedruckte Tütchen (ich habe noch welche von einem Familienangehörigen, der in der Fabrik gerabeitet hat).

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      • Das ist schon interessant, wenn sich der Markenname Elwiphan nie durchgesetzt hat, es vielmehr in der DDR als Zellophan bezeichnet wurde. Es gab Elwiphan zumindest als großflächige Folie (wie auf dem Foto abgebildet) und für die Einmach-Gläser auch Päckchen mit kleinen Abschnitten. So etwas ist im DDR-Museum zu sehen, siehe: https://www.ddr-museum.de/de/objects/1021514

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      • Ja, Zellophan und Zellophantüten waren gang und gäbe. Und bei den Textilien erinnere ich mich nicht nur an Kittelschürzen, sondern auch an FDJ-Hemden. Die waren erst aus Baumwolle(?) und später dann aus Dederon oder Polyester oder Viskose(?). Jedenfalls nicht gerade atmungsaktiv.

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        • Aus Viskose waren die späten FDJ-Hemden nicht, denn Viskose i s t atmungsaktiv, muss also Polyesterfaser gewesen sein.

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  1. Was mich wundert, ist: Oben steht, „seit 1948 firmierte das Werk als VEB Zellstoff…“ – so früh? Schon vor der Gründung der DDR als VEB ?

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    • Bis 1948 hatte die sowjetische Militäradministration in der späteren DDR bereits etwa 4 000 Industriebetriebe enteignet, von denen nur einige wichtige zunächst in Sowjetische Aktiengesellschaften eingebracht wurden. Die anderen wurden gleich VEB – Volkseigene Betriebe.

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