Seidenwaren aus Potsdam

Die historische Faserproduktion in der Prignitz und im Havelland war selbstverständlich Teil eines größeren Systems. Entsprechende Anknüpfungspunkte ergeben sich, auch das ist eine Binsenweisheit, oft durch geografische Nähe. So wies das Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte am 26. September 2021 auf seiner Facebook-Seite auf ein Guckkastenbild hin, welches den Potsdamer Jägerhof – dass heutige Justizzentrum in der Jägerallee – zeigt: Es war seit 1765 als landesweite Ausbildungsstätte für die einheimische Seidenkultivierung bestimmt.

Denn trotz ungünstiger klimatischer Bedingungen hatte Preußen die Herstellung von Rohseide im Land seit dem frühen 18. Jahrhundert massiv gefördert. Unter anderem riesige Maulbeerbäume in Rathenow weisen bis heute darauf hin (siehe Blog-Eintrag vom 12. Juni 2021). Der Potsdamer Jägerhof war unter dem Großen Kurfürsten außerhalb der Stadt als Fasanerie errichtet worden und bot dann seit 1865 Wohn- und Arbeitsräume für die Seidenkultivateure. Neben heimischer Seide wurden in Potsdam auch aufwendig gefertigtes Mobiliar und Kronleuchter für die Ausstattung der Schlösser produziert. Der Rohstoff für die Seide kam vermutlich aus der Region – von überall dort, wo zielgerichtet Maulbeerbäume als Futterbäume für die Seidenraupen angepflanzt worden waren. Denn insgesamt gab es 1790 im Raum Frankfurt (Oder)-Berlin-Magdeburg etwa drei Millionen Maulbeerbäume und 2.580 Seidenspinnstühle.

Mit dem Wegfall der staatlichen Förderung Anfang des 19. Jahrhunderts brach die Produktion von Rohseide in Preußen zusammen. Vereinzelt wurde sie allerdings noch bis nach dem Zweiten Weltkrieg fortgesetzt, zumal die auf Autarkie bedachten Nationalsozialisten die Produktion noch einmal aufleben ließen. Die Verarbeitung von (dann meistens importierter) Rohseide aber blieb in der Region ansässig – nicht zuletzt wegen der Nähe zum Königshaus. So saß in der Rudolf-Breitscheid-Straße 33 (vormals Lindenstraße 90) in Potsdam-Babelsberg die 1885 gegründete Seidenweberei Kunze & Kraberg, in die 1949 die Krawattenweberei Curt Wollram einzog (vorher in der Nummer 19 – vormals Lindenstraße 84 ansässig). Und in der Friedrich-Engels-Straße 21a (vormals Kaiser-Wilhelm-Straße 1/3, günstig an der Eisenbahnstrecke nach Berlin gelegen) hatte das Berliner Seidenhaus Michels & Cie. 1912 seine neue Produktionsstätte eingerichtet. Dies geht aus dem Internetauftritt der Geschichtswerkstatt Rotes Nowawes hervor.

Die üppig ausgestattete Seidenweberei Michels ist in Fachkreisen vor allem auch wegen ihrer Architektur, die von dem Architekten Hermann Muthesius stammt, bekannt. Neuartig war damals die Verbindung von Repräsentation und Arbeitsstätte gelöst worden. Eine Beschreibung dieser Anlage gibt es beim Förderverein des Potsdam-Museums e.V., siehe:

Das Seidenhaus Michaels war 1893 in Krefeld gegründet worden. Und dort gibt es mit dem Haus der Seidenkultur ein heute noch mit authentischem Websaal ausgestattete Produktionsstätte, siehe:

https://seidenkultur.de/

Das kolorierte Blatt von Johann Gottfried Böck zeigt die Fasanerie bei Potsdam um 1740. Hier zogen ab 1765 die Seidenkultivateure ein. Als Guckkastenbild ist es für eine spiegelbildliche Betrachtung gedacht, darum ist die Beschriftung seitenverkehrt. Bild: Potsdam Museum – Forum für Kunst und Geschichte (Foto: Holger Vonderlind)

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